Schöne deutsche Heimat - Leuna


       Jürgen Jankofsky

 

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Insbesondere in den späten DDR-Jahren war die gesamte mitteldeutsche Chemieregion berüchtigt. Nach abgeschlossener Reprivatisierung der Leuna-Werke genügt der nunmehrige Chemiestandort Leuna jedoch längst bundesdeutschen Umweltnormen.
In Leuna wurden die Dächer wieder rot und die Gärten wieder grün. Und glaubhaft klingt tagtäglich mehr und mehr, was zu DDR-Zeiten bestenfalls als Ironie verstanden worden wäre: Leuna gilt als die größte Gartenstadtanlage Europas.
Mit dem Werk war die Werksiedlung Neu-Rössen entstanden. Gelegen zwischen dem Industriegelände und den alten Dörfern am Saalebogen sollte sie der aus ganz Deutschland, vor allem aber aus dem Stammwerk Ludwigshafen, aus der Pfalz also, rekrutierten Stammbelegschaft, eine neue Heimat sein. So erwuchs eine Mustersiedlung mit beispielhaften städtebaulichen Strukturen, sozialen, schulischen, sportlichen, medizinischen, kirchlichen und kulturellen Einrichtungen, unmittelbar wie im übertragenen Sinne vermittelnd zwischen Alt und Neu, zwischen Herkunft und Zukunft gleichsam. Tatsächlich bildete die Werksiedlung mit den ursprünglichen Siedlungskernen zuerst einen Zweckverband, dann eine Großgemeinde und zu guter Letzt, ab 1945, eine Stadt. Und die hieß selbstredend nicht Neu-Rössen, sondern Leuna, und dehnt sich im Zuge von Gebiets- und Verwaltungsreformen mittlerweile weiter und weiter aus ...
Dabei war das Gründungsjahr der Stadt Leuna wohl zugleich das schwerste ihrer Geschichte. Auch im zweiten der Weltkriege hatten die Leuna-Werke strategischen Planungen, dieses Mal insbesondere hinsichtlich der deutschen Treibstoffproduktion, zu genügen. So gerieten die Produktionsanlagen ins Fadenkreuz verheerender alliierter Bombenangriffe. Getroffen wurden jedoch auch die Wohngebiete. Bei Kriegsende glichen Ort wie Werk einer Trümmerwüste.
Ungebrochen aber blieb der Aufbau- und Erneuerungswille der Leunaer. Wie ein Alptraum mutet insofern mittlerweile an, dass die Stadt in der späten DDR allmählich zu verfallen drohte, alles buchstäblich grau in grau erschien. Doch wie gesagt: Mit der Wende wurden in Leuna die Dächer wieder rot und die Gärten wieder grün. Und seit Mitte der 1990er Jahre steht die Gartenstadt sogar unter Denkmalschutz ...
Und man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass Leuna seine Zukunftschancen hat: Der Chemiestandort stabilisiert und etabliert sich zusehends; Infrastrukturen sind bzw. werden auf hohem Niveau modernisiert; Bürger engagieren sich spürbar in Vereinen oder Initiativen; seit 1994 vergibt Leuna gemeinsam mit Merseburg in Würdigung eines Mannes, der Leuna zum literarischen Ort erhob, sogar einen renommierten Literaturpreis – den Walter-Bauer-Preis; traditionsreiche Freizeiteinrichtungen wie das weithin bekannte Leunaer Waldbad haben nach aufwendiger Sanierung zweifelsohne an Attraktivität gewonnen; und nicht zuletzt wird die interessante Lage im aufstrebenden Ballungsraum Leipzig-Halle, gepaart mit Leunaer Besonderheiten, zur weiteren Entwicklung dieser Industrie- und Gartenstadt beitragen, gewiss.