Manfred Jendryschik

 geboren:

28.1.1943

 Adresse:

Am Fischerhaus 5b       04159 Leipzig

 Telefon/Fax:

0341 / 461 52 80

 E-Mail:

 

 

Biografie: 

Geboren in Dessau. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Rostock, Verlagslektor in Halle, freischaffender Schriftsteller. 1990 bis 1996 Kulturdezernent in Dessau. Heinrich-Heine-Preis, Händel-Preis des Bezirkes Halle, Kunstpreis der Stadt Halle. Mitglied des PEN seit 1996.

Bibliografie:

Glas und Ahorn, Geschichten, 1967, Rostock
Die Fackel und der Bart, Geschichten, 1971, Rostock
Johanna oder die Wege des Dr. Kanuga, Roman, 1972, Halle
Jo, mitten im Paradies, Erzählungen, 1974, Rostock
Lokaltermine, Essays, 1974, Halle
Aufstieg nach Verigovo, Erzählungen, 1975, Halle
Ein Sommer mit Wanda, Legenden von der Liebe, 1976, Halle
Die Ebene, Gedichte, 1980, Halle und Frankfurt/M.
Der feurige Gaukler auf dem Eis, Miniaturen, 1981, Halle und Frankfurt/M.
Der sanfte Mittag, Prosa, 1983, Leipzig
Anna, das zweite Leben, Prosa und andere Auskünfte, 1984, Halle
Zwischen New York und Honolulu, Reisebriefe, 1986, Halle
Straßentage, Tagebuchseiten, 1991, Leipzig
Die Reise des Jona, Roman, 1996, Halle
Sieben und eine Todsünde, Geschichten, 1998, Passau

Arbeit als Herausgeber:

Bettina pflückt wilde Narzissen, 1972, Halle
Auf der Straße nach Klodawa, 1977, Halle
Alfons auf dem Dach, 1982, Halle
Unterwegs nach Eriwan, 1988, Halle

Arbeitsgebiete:

Romane, Erzählungen, Essay, Literaturkritik, Lyrik, Kinderbuch

Themenangebote:

1. Lesung aus Die Reise des Jona (ironischer Transport biblischer Motive in die heutige Zeit)
2. Politische Reden und Essays
3. Prosa, Lyrik und Kulturpolitik

Textprobe:

Überblick

Und sitzt also da, in Etage 15, eigentlich ist es die 16., eine Treppe führt durch die Wohnung, den Sommer lang, er hat nie andres gewollt, umstellt von den Bücherregalen, der papierenen Flut, die manchmal, an einem Ende, herabstürzt und sich neu ordnet, vom Boden her; eingekeilt zwischen Schreibtisch und Liege, er geht nun seltner zum Fenster, er weiß, wie’s da unten aussieht, grün und heller, rostfarben einige Punkte, und schreibt die Systeme, die neue Ordnung, es ist eine Wissenschaft, und merkt mit der Zeit, dass er weniger isst, tags oder abends, so muss er nicht in die Küche, er läuft nur, das Licht anzuschalten, oder wenn plötzlich der Regen die Scheibe trübt, das ist noch seltsam. Und denkt sich, wie eins aus dem andren hervorgeht, und anderes aus dem einen, so fort, die Linien, die Strukturen, der Staat, er glaubt, es ist wenig Bessres bisher verfasst, und spürt schon die Beine ferner, manchmal wie Holz, der fünfte und sechste Stock seines Stuhls, seiner Bleibe für lange, und wünscht sich, für immer, und blättert in gilbenden Utopien, das ist für den Anhang, und sieht seine Hände wie Glas, es sind die eines Fremden, wie sie da schnell die Exzerpte notieren, schneller das Eigne, und auch der Kopf braucht nicht die Ruhe, nie mehr, er hat ihn im Griff, er braucht keinen weiteren Aufwand, er tut das Seine, still, die Ideen auswerfend, die Räte das Volk das Kommunale, wer sprach davon klarer, sein Schädel sein Leib, denn das Gesäß ist ein flacher Sitz; er würde den Regen abstellen, wenn der ihn noch störte, doch er hört ihn ja nicht, und die Sonne vermag nicht zu blenden, weil er das Altertum vor sich hat, ausgebreitet, die Zukunft, und will sich nun, einmal, ans Fenster lehnen, aber wie soll er denn, hockend, gehen, und es ist auch nicht Zeit dazu, er schreibt für sie alle, die leben da unten, die großen Modelle, die’s nur in Fragmenten gibt, bis zu dem Tag, dieser Stunde, er wird aus den Angeln heben, was keine Gründe hat, es geht seine Schrift, eilig, Seite für Seite.

 

G. T.

Ach diese Stimme, thüringisch eingefärbt, jetzt wohnt sie in Leipzig, das gibt eine Mischung, jedenfalls zart, ein Mädchen, dass du die Worte beschützen möchtest, auch ihr Gesicht hat diese Röte, die kindliche, manchmal erzählt sie eifrig, die Lippen vollführen Sprünge, und sitzt dann auf fliegendem Teppich, sie gleitet uns weg aus dem Haus, aus den Straßen, der Stadt, ist schon unter südlicher Sonne zum Beispiel, das könnte die Camargue sein, um Aix en Provence usw., wo noch die wildesten Pferde traben, und zum Marienfest treffen sich Europas Zigeuner, da fällt sie gar nicht mehr auf, nie war sie anders, und es ist deutlich zu sehen, wie sie in buntschillerndem Röckchen tanzt, das Tamburin in der Hand, der Atem in Stößen, schneller die Schritte, verrückter, verrückter, jetzt sollte, erst mal, ein Semikolon her; einer hat doch gesagt, sie wäre einst Staatsanwalt gewesen, das muss ein Irrtum sein, auf alle Fälle geht die Legende, es hätten die Angeklagten viel Mitleid mit ihr gehabt; oder ich sag: ein Kind, das ist, zu plötzlich, unter diese Erwachsnen gefallen, das hört mit dem Staunen nun nicht mehr auf; oder sie erzählt nichts, sie steht nur so da, im Garten, im Mai oder Juli, und lächelt gegen den Regen, wandelt mit dieser Stimme Tropfen zu Schmetterlingen auf ihrer Nase, in dieser Luft, es könnten auch Blaumeisen sein, und wird gegen Abend ein Baum, so ist sie im Grün, ein Fliederbusch, der wächst über alle Zäune.

Aus: „Der feurige Gaukler auf dem Eis“

 

Vorm Bahnhof

Iduna / Nova, e’plus – Wahnsinn! Super!
Und Völckers King & Co., ja: Wir vermieten im Alleingang, das
heißt: selbst. Der Krane Glieder greifen in die Nacht
daneben, die Ellenbogenkugellager grellbeleuchtet
(ein großer Glanz von innen). Und aus dem Rohbau
stolpert seine Herrlichkeit Methusalem, der Veteran
des Alkohols, und wirft die Arme auf gleich einer Menschheit
mit einer Kurzhaardame schlurfend die Geleise, worauf
sich Monds Geschling getreu bescheidet, spiegelnd (es
kommt die 11 nun, wie gerufen), so
Leipzigs Pflastermitte mit dem Kosmos knüpfend.