Harald Korall

 geboren:

19.6.1932

 verstorben:

23.8.2017

   
     

Biografie: 

Geboren am Rande Thüringens im Kreis Artern. 1950 Abitur, danach Studium in Jena: Germanistik, Pädagogik, Psychologie. Ab 1950 wissenschaftlicher Assistent am Pädagogischen Institut Erfurt. Ab 1957 im Verlagswesen tätig, zunächst in Reichenbach/V., danach – seit 1959 – in Halle. Publikationen seit 1966. Auch als Herausgeber tätig. Seit 1986 freischaffender Autor, Hauptthema: Kriminalität, tatsächliche Kriminalfälle. 1990 Gerichtsreporter bei der Presse. 1990 bis 1994 Vorsitzender des Förderkreises der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt, 1994 bis 1996 Leiter des Literaturbüros Sachsen-Anhalt Süd.

Bibliografie:

Hochzeit nach neun Jahren, Erzählungen, 1970, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Die Verlobung findet nicht statt, Fernsehspiel, 1970, DFF
Die Tote an der Waisenhausmauer, Kriminalfälle, 1984, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Die Millionenlady, Kriminalfälle, 1986, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Die Stunde vor Mitternacht, Kriminalfälle, 1988, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Zweimal Hanoi und zurück, Reisenotizen, 1989, unveröffentlicht
Die Kindsmörderin, Kriminalfälle, 1990, unveröffentlicht
Der Tod der Ärztin, Neue Kriminalfälle, 1997, Halle, Heiko Richter Verlag
Die Stunde vor Mitternacht, Authentische Kriminalfälle (wesentlich veränderte, erweiterte Auflage), 1998, Leipzig, Militzke Verlag
Stirb, Schwester!, Tatsächliche Kriminalfälle, 1999, Leipzig, Militzke Verlag
Eine Rose für die Tote, Tatsächliche Kriminalfälle, 2000, Leipzig, Militzke Verlag
Ich habe sie alle im Schlaf getötet, Tatsächliche Kriminalfälle, 2001, Leipzig, Militzke Verlag

Arbeit als Herausgeber:

Literatur 71, 1971, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Chile – Gesang und Bericht, Mitherausgeber, 1976, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Das Kind im Schrank und andere Texte sachsen-anhaltischer Autoren, Mitherausgeber, 1998, Leipzig, Faber & Faber

Herausgeber der Veröffentlichungen des Literaturbüros Sachsen-Anhalt Süd und des Förderkreises der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt e.V., unter anderem der Anthologien Lebenszeichen (1995), Stunde der Phantasten (1996), Wer dem Rattenfänger folgt – Gesichter der Gewalt (1998) und Zuhause in der Fremde (2002) und der Halleschen Autorenhefte (ab 1996. Siebenunddreißig Hefte bis Ende 2003).

Weitere Publikationen in Anthologien und Zeitschriften

Arbeitsgebiete:

Erzählung, Kurzgeschichte, Journalistik, Herausgebertätigkeit, Kriminalität, Reisebeschreibung

Themenangebote:

Für Erwachsene aller Interessen- und Altersgruppen, für Schüler ab 8. Schuljahr:

1. Zur Kriminalität in den östlichen Bundesländern. Lesungen aus den Büchern
2. Tatsächliche Kriminalfälle nach 1945 bzw.nach 1989
3. Kriminalität gestern und heute, Jugendkriminalität
4. Erzählungen zur Gegenwart

Textprobe:

Ich lebe seit vielen Jahren in Deutschland, ich bin hier geboren. Ich spreche vielleicht besser deutsch als griechisch. Manche staunen, wenn ich ihnen meinen griechischen Familiennamen sage. Du bist wirklich eine Ausländerin? fragen sie.
Am 3. Juli wollte ich zu meinen Eltern fliegen, Urlaub, in die Heimat, das Semester war zu Ende. Ich lief zum Bahnhof, ich hatte noch Zeit, bis der Bus zum Flughafen fuhr. Ich sah mich ziellos ein bisschen um, da sprach mich plötzlich ein junger Mann an. Ob ich Tiere mag, vielleicht zu Haus ein Tier hätte, ob ich nicht spürte, wie Menschen oft wenig Rücksicht auf Tiere nähmen, sie quälten. Er bat mich zu sich an einen Stand, er zeigte mir Bilder, Broschüren. Er gehörte zu einer Gruppe, die für den Tierschutz warb. Ich fand sein Anliegen lobenswert, ihn selber gleich ziemlich sympathisch. Ich ließ mich gern von ihm zu einem Kaffee einladen. Schließlich tauschten wir sogar unsere Telefonnummern.
Ich hatte trotz allem zu Hause ganz anderes im Kopf als ihn: das Wiedersehen mit der Heimat, den Eltern, die wieder in Griechenland lebten, weit weg von den Touristenstädten. Da klingelte das Telefon, und er rief an. Er rief am ersten Tag an und am zweiten, er rief jeden Tag an. Wir sprachen über Belangvolles und Nichtiges. Er erzählte von seiner Familie und von seiner Arbeit, von Begegnungen mit Leuten. Er fragte mich nach meinen Eltern und meinen Tagesabläufen, meinem Land. Ich war schließlich geradezu süchtig nach seinen Anrufen. Ich vermied, aus dem Haus zu gehen, Verwandten- oder Bekanntenbesuche zu machen. wenn er einen Anruf angekündigt hatte. Und er war pünktlich.
Als ich nach drei Wochen zurückflog, erwartete er mich am Flughafen. Er hatte einen Nachmittag freigenommen von der Arbeit für seine Aktion, sagte er, er hatte eine einzelne blassrote Rose für mich. Ich war eigentlich da schon wie von Sinnen. Mir war solche Zuneigung noch nie widerfahren. Ich hatte viele Bekannte in der Stadt, nicht nur unter den Studenten, trotzdem war ich eigentlich oft allein. Wenn ich es wollte, nun nicht mehr? Ich schickte das Taxi weg, ich ließ es zu, dass er gleich den ersten Abend bei mir blieb.
Ja, ich liebte ihn. So ein Gefühl war das wohl. Mit zweiundzwanzig hat man Sehnsucht nach was Totalem. Nach einem Jahr sehe ich da vieles anders.
Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich kann leicht verzeihen, den anderen verstehen. Er hat das wohl rasch bemerkt. Er hat mich in seine Wohnung in der Kantstraße eingeladen, dort hauste er mit einem Kollegen seiner Firma, ziemlich einfach. Such dir andere Arbeit, habe ich zu ihm manchmal gesagt, eine andere Wohnung. Das sind nicht die richtigen Leute für dich, habe ich gesagt. Such dir eine vernünftigere Arbeit, habe ich gesagt. Er fühlte sich selber auch immer unwohler in diesem Zimmer. Als es ernst wurde mit der Trennung, zog er zu mir, übergangsweise.
Er hat mir manches aus seinem Leben erzählt. Am schlimmsten war die Geschichte mit seiner Schwester. Sie war krebskrank, schon seit Jahren, nun wurde es ganz ernst, sagte er. Er telefonierte mit ihr, wie er zuvor mit mir in Griechenland telefoniert hatte, jeden Tag. Als sie starb, war er total fertig. Aber auch das war alles gelogen.
Und nun hat er getötet. Ich kann es nicht begreifen.

Aus: „Ein feiner junger Herr in Schwarz“

 

Der große Canyon

Den Helikopter zu beladen, zu besteigen, ist ein kompliziertes Problem. Jeder muss zuvor sein Gewicht angeben, ehrliche Kilos bis zum letzten. Danach wird die Bordlast gerecht verteilt. Keine Rücksicht auf fotografische Interessen? Keine. Auf dem Superplatz neben dem durchtrainierten schlaksig dünnen Piloten sitzen meist die leichtgewichtigen Frauen ohne großartiges fotografisches Gerät. Das behindert sich dafür wechselseitig hinter den rückwärtig trennenden Glasscheiben. Fünf gierige Deutsche hocken da, klemmen die Optik vor die Augen, sehen, was sie sehen können, vielleicht erst im entwickelten Film, dem positiven Abzug oder im Video.
Trotzdem begreifen alle: Plötzlich bricht der nahe Kiefernwald unter uns ab, stürzt der Berg, der Hang in die Tiefe, wird leer, weit, fern, wölbt sich wieder auf und stürzt erneut, Stufe für Stufe. Gelblich, braun, rosa, rot ist das Gestein, lange Streifen zeichnen die Hänge und Schlünde.
Schließlich, ganz unten, wenn man genau hinsieht, strömt, schäumt lautlos der Fluss, ein zahmes Grün. Der Colorado. In Jahrzehntausenden hat er den Abgrund geprägt, den Stein aufgeschnitten, zerschnitten, zermahlen, zerborsten, gesprengt.
Zwölf-, vierzehnhundert Meter tief sind sie zu viert hinab und wieder hinauf, hat der Schwiegersohn gesagt, natürlich an einem Tag. Die Tochter, ein Jahr später, schwanger, hat nur die Hälfte geschafft. Und wir? Wie ein lauter Geier kreisen wir, strecken statt der Krallen nur unsere Objektive. Wann je werden wir solche Urlandschaft noch einmal erleben?