Gerhard Neumann

 geboren:

2.2.1930

 verstorben:

24.8.2002

   
     

Biografie: 

In Köthen aufgewachsen, nach dem Abitur Schauspieler, dann Dramaturg und Regisseur, später Filmdramaturg, Szenarist, Intendant, Theaterwissenschaftler. Veröffentlichte seit früher Jugend. 1985 wurde Schreiben zu seiner Haupttätigkeit.
Kunstpreis der Stadt Halle. Georg-Friedrich-Händel-Preis.

Bibliografie:

Georges Dandin, Molière-Übersetzung, 1952, Berlin, Henschel-Verlag, sowie weitere Nachdichtungen aus dem Französischen

Filmszenarien, u.a. Poloniaexpreß, 1957, DEFA, Die Premiere fällt aus, 1959, DEFA

Die Reußische Gemme, Kriminalroman, 1978, Halle/Leipzig, MDV
Waterloo, Kriminalroman, 1980, Halle/Leipzig, MDV
Ich kannte Carabas, Roman, 1983, Halle/Leipzig, MDV
Koppenreuter kommt nicht, Roman, 1986, Halle/Leipzig, MDV
Die Vermummten, Kriminalroman, 1988, Halle/Leipzig, MDV
Abgesang, Kriminalroman, 1990, Halle/Leipzig, MDV
Feuerspuren, Krimi (als H. H. Petermann), 1991, Berlin, Reiher-Verlag
Zur Kriminalliteratur ..., Sechs Hörfunkessays, 1993, Erstsendung: DS-Kultur
Ritter, Tod und Teufel, Kriminalerzählungen, 1995, Halle, JUCO-Verlag
Polnisches Gold, Kriminalroman, 1996, Berlin, Verlag Das Neue Berlin
Mord total, Kriminalroman, 1997, Berlin, Verlag Das Neue Berlin
Klartext, Kriminalerzählung, (im Sachsen-Anhalt-Sammelband Das Kind im Schrank, 1998, Leipzig, Faber & Faber)
Tabula rasa, ein Kapitel im Neun-Autoren-Krimi Die allerletzte Fahrt des Admirals, 1999, Berlin, Ullstein-Verlag
Abgesang, presto ..., Kriminalroman, 2001, Halle, projekte verlag

Ferner: Theaterstücke, Kabarett- und andere Texte, über 200 Rezensionen, Essays und Erzählungen in zahlreichen Anthologien und Sammelbänden (darunter in der internationalen Übersicht WELTKRIMIS - KRIMIWELTEN, 1995).

Arbeitsgebiete:

Roman, Erzählung, (literarischer) Kriminalroman, Essay, Geschichtliches (auch Heimatgeschichtliches), Theater-, Fernseh-, Film- und Literaturkritik.

Textproben:

  „Nichts fällt dem teutschen Publikum schwerer, als an dem Unernst Freude zu finden, den fürsorgliche Autoren in ihre Bücher mischen, damit niemand versehentlich in die Seiten beißt, wenn dort ein Schnitzel serviert wird.“
(Goethe – bzw. – na ja – jedenfalls darf man es ruhig glauben!)

In etwa drei Wochen, am 3.Januar 1927, werde ich im früheren Dienstmädchenzimmer meiner verstorbenen Mutter meinen 35. Geburtstag begehen. Unglücklicherweise bin ich ein unentschlossener Mensch und zu kaum etwas nütze. Wenn ich dennoch nicht selten an meinem Leben Freude empfinde, verdanke ich es einem Gönner: Dr. rer. pol. Karl-Heinz Goßwandt. Er behielt mich als eine Art Faktotum in seinem Vaterhaus, nachdem 1922 seine Eltern kurz nacheinander gestorben waren und ihm die verschattete Charlottenburger Villa zum Erbe hinterließen. Ein Rixdorfer Maurermeister hatte das Gebäude in der Zeit des Norddeutschen Bundes für einen Gaslampen-Fabrikanten errichtet, im Rixdorfer Renaissance-Stil, wie mein Hausherr zuweilen spöttisch bemerkt ...
In meiner freien Zeit verlege ich mich unnützerweise auf das Verfertigen von Gedichten, Trauerspielen und Novellen besinnlichen Inhalts, nachdem das Lesen von so genannten belletristischen Büchern mir schon früh einen häufigen und mit der Vernunft schwer zu erklärenden Genuss bereitet hatte ...
Aber nun will ich eine Kriminalaffäre beschreiben. So wenig ich mich an und für sich dazu berufen fühle – der Versuch muss gewagt werden. Denn wenn ich auch wegen meines Körperschadens nie gedient habe und demzufolge nicht für Kaiser und Reich habe fechten können – ich fühle mich als Patriot und finde es unerträglich, dass nur in England oder Amerika atemberaubende Kriminalfälle und wirklich scharfsinnige Detektive in Büchern gewürdigt werden, in Deutschland dagegen fast nirgendwo. Dabei stehen – wenn ich nur meinen verehrten Hausherrn und Gönner Dr. Goßwandt erwähnen darf – gewiss deutsche Amateurkriminalisten ihren ausländischen Kollegen weder an Kühnheit und Mut noch an Denkschärfe im geringsten nach ...
Der Fall beginnt fast in schläfriger Stille. Während ich den Maybach durch den mäßigen Mittagsverkehr der Kurfürstenstraße lenke, ist neben mir Herr Karl-Heinz wieder einmal eingenickt ... Das fällige nächste Aufschrecken erfolgt bei ihm just, als unser Wagen – kurz vor dem Nollendorf-Platz – an der polnischen Gesandtschaft vorbeikommt. Denn was Goßwandt da sieht ...

Aus: „Polnisches Gold“


Tatort: Eine Freilichtbühne – Gegenwart

Die Polizei trifft gerade ein, als wir die Stelle gefunden haben. Es verschlägt uns den Atem. Blut. So viel Blut ...
Die Darstellerin des Teufels kniet reglos auf einem Moosstück, als ob ein Schock sie versteinert hat. Obwohl an Armen und Kostümteilen blutbeschmiert, wirkt sie schön – ja, auch mir fällt sofort Lady Macbeth ein. Die Teufelsperücke mit dem großen Horn in der Mitte ist ihr übers Ohr gerutscht, ihr schwarzes Haar quillt hervor, ein Wall fremdartig krauser Locken. Vor ihr, im Grase, der Tod. Der ermordete Tod, auf dem Rücken liegend. Die Gesichtsmaske, blutig, daneben, mitsamt der kahlen künstlichen Schädeldecke. Blond – dieser Tod ist ja blond, aber die starren Augen, die niemand geschlossen hat, sind nur noch zwei blanke hellblaue Steine. Die Mordwaffe, ein Jagdmesser offenbar, ragt aus dem Trikot, just am Ansatz zur gewölbten Brust. Die Tote hält mit der Linken den Griff umkrampft, und das Blut, das aus der Wunde schoss, hat sich zur Seite ergossen, auf den anderen Toten zu. Steffen, der Ritter Bollhard, liegt auf dem Gesicht, und der tödliche Messerstich traf seinen Rücken. Der Helm ist zur Seite gerollt; das wappengeschmückte Kostümwams ist blutbesudelt. Die absurde Mischung aus barbarischer Wirklichkeit und theatralischer Verkleidung berührt mich wie eine gespenstische Fopperei ...

Aus: „Ritter, Tod und Teufel“