Ralph Wiener

 geboren:

15.5.1924

 Adresse:

Hallesche Straße 95       06295 Lutherstadt Eisleben

 Telefon:

03475 / 60 20 23

 E-Mail:

   

Biografie: 

Geboren in Baden bei Wien als Sohn eines österreichischen Schriftstellers, der 1938 nach England emigrierte. Wuchs bei den Großeltern in Eisleben auf. 1944 Verhaftung durch die Gestapo, Flucht und Illegalität in Wien. Nach der Befreiung Gründer und Direktor des ersten deutschen Nachkriegstheaters (Bürgertheater Eisleben). Heute Ehrenmitglied der Landesbühne Sachsen-Anhalt. 1946 bis 1950 Jurastudium, anschließend Referendar und ab 1953 Rechtsanwalt. 1982 Promotion zum Dr. jur., 1986 Habilitation im Bereich Rechtsgeschichte. 
Literarisch vorwiegend im heiteren Genre tätig. 1957 bis 1977 ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „Eulenspiegel“ und des „Wiener Magazins“. 1958 bis 1961 Hausautor beim Berliner Kabarett „Die Distel“. 1960 bis 1990 Vortragstourneen mit eigenen literarischen Programmen.

Bibliografie:

Wiener G’schichten, 1961, Berlin, Eulenspiegel-Verlag
Geschichten meiner Frau, Lustspiel, 1962
Fragen Sie Sibylle, Lustspiel, 1964
Gehört sich das?, Heitere Geschichten, 1972, Rudolstadt, Greifenverlag
Ein himmlischer Abend, Lustspiel, 1974
Kein Wort über Himbeeren, Heitere Erzählungen, 1979, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Als das Lachen tödlich war, Erinnerungen und Fakten 1933-1945, 1988, Rudolstadt, Greifenverlag
Gefährliches Lachen, Schwarzer Humor im Dritten Reich, 1994, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag
Der lachende Schopenhauer, Blütenlese, 1996, Leipzig, Militzke Verlag (auch in japanischer Übersetzung in Tokio)
Lachen zwischen Harz und Saale, Heitere Geschichten, 1996, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Schmunzelmarkt, Heitere Geschichten, 1996, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Lachen mit Schwejk, Gewitztes und Verschmitztes, 1999, Halle-Zürich, Verlag Janos Stekovics
Die vier Jahrespleiten, Lustige Geschichten, 1999, Berlin, Eulenspiegel-Verlag
Ein goldenes Blatt hängt noch in meinem Spind, Gedichte, 2002, Halle, Verlag Janos Stekovics
Hinter vorgehaltener Hand, Der politische Witz in Deutschland, 2003, Leipzig, Militzke Verlag

Mitarbeit an sieben Eulenspiegel-Anthologien und weiteren Sammelbänden, u.a. Das neue heitere Buch der Liebe (1991), Rowohlt-Schmunzel-Lesebuch (1992).

Arbeitsgebiete:

Satiren, Sachbuch, Theaterstück

Themenangebote:

1. Lesungen aus Der lachende Schopenhauer für Jugendliche in Schulen
2. Lesungen aus Lachen mit Schwejk für Senioren
3. Lesungen aus Die vier Jahrespleiten für alle Altersklassen

Textprobe:

Das Wesentliche

„Nur eine Frage“, hatte man zu dem bekannten Schauspieler X am Telefon gesagt, und X hatte bereitwillig geantwortet.
„Sehen Sie“, sprach er mit tönender Stimme, „ich habe vor zwei Monaten mein vierzigjähriges Bühnenjubiläum begehen können. Da hat man einen Blick für das Wesentliche. Bereits am Anfang meiner Laufbahn spielte ich den Diener im – na, ist auch egal. Auf alle Fälle war es ein durchschlagender Erfolg. Ich habe dann in Shakespeares ‚Maß für Maß‘ die außerordentlich schwierige Rolle ...“
„Entschuldigen Sie“, unterbrach der Anrufer ...
„Bitte, bitte!“, nickte der Mime gönnerhaft. „Sie können nicht wissen, wie schwer es damals für uns war. Aber um auf das Wesentliche zurückzukommen: Mein zutiefst humanistisches Anliegen war schon immer die Verkörperung progressiver Gestalten. Nehmen wir zum Beispiel ‚Egmont‘. Den habe ich im Jahre 1956 auf einem Abstecher nach Niedermörlen gespielt. Ohne mir zu schmeicheln: Man hat noch drei Tage davon gesprochen. Meine weiteren Stationen waren Hamlet, Faust, Direktor Striese ...“
„Wenn ich Sie recht verstehe“, wandte der Anrufer ein, „wollen Sie damit sagen ...“
„Genau!“, trumpfte der Tragöde auf. „Das Wesentliche ist der Blick nach vorn, in die Zukunft gewissermaßen. Sehen Sie, als ich seinerzeit meinen unnachahmlichen König Lear auf die Bretter stellte, schrieb die Kritik einhellig“ – hier knisterte ein Zeitungsblatt – „... ‚es war ein Erlebnis besonderer Art‘. Hören Sie: ‚besonderer Art!‘ Das sagt alles.“
„Gewiss“, nickte der Anrufer.
„Und wenn ich Sie vielleicht an meinen Tasso erinnern darf“, fuhr X fort, „es war sozusagen die Krönung meiner Laufbahn. Vierunddreißig Vorhänge, siebzehn Blumenkörbe, ein Händedruck vom Dichter – symbolisch gemeint – und Glückwünsche über Glückwünsche. Meine Kollegen platzten vor Neid. Ich ging dann nach Stendal. Das heißt, eigentlich sollte ich damals ans Deutsche Theater, aber in Stendal hatte ich – nun ja, eine entfernte Nichte von mir wohnte dort. In Stendal errang ich dann mit der Darstellung des Coriolan einen triumphalen ...“
„Erfolg“, vollendete der Anrufer, weil dem kränzeflechtenden Mimen das Wort nicht einfiel, da er in Gedanken bereits die letzte Etappe seiner Karriere beschritten hatte.
„Sehen Sie, ich habe vierzig Jahre lang immer das Wesentliche im Auge gehabt, und mein humanistisches Anliegen als Künstler ist besonders jetzt, da ich mich auf die Rolle des Freiherrn von Attinghausen vorbereite, die ich übrigens – das möchte ich betonen – auf meine eigene Art anlege, obwohl ich den Attinghausen bereits 1960 in einer beachtlichen Dinkelsbühler Aufführung ...“

Pressenotiz am nächsten Tage:
„Der bekannte Schauspieler X wurde gestern befragt, worin er das Wesentliche des Vorhabens zur Stadtbegrünung erblicke. In einem längeren Interview bestätigte er seine völlige Übereinstimmung mit der Meinung der betroffenen Bürger.“

Aus: „Die vier Jahrespleiten“