Kurt Wünsch

 geboren:

15.11.1939

 Adresse:

Mörikestraße 60       06118 Halle

 Telefon:

0345 / 550 71 28   Fax  0345 / 522 55 82

 E-Mail:

info@heiko-richter-verlag.de

 

Biografie:

Geboren in Halle. Nach dem Abitur Studium der Mathematik und Physik. 1962 bis 1971 Lehrer in verschiedenen Städten Mecklenburgs. 1965 bis 1970 Fernstudium der Mathematik. 1971 bis 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Martin-Luther-Universität Halle (Bereich Mathematik/Informatik). 1992 bis 1994 Lehrtätigkeit auch an der Fachhochschule in Erfurt. 1995 Mitglied der internationalen Schriftstellervereinigung „Plesse“. Seit 1994 Vorsitzender des Förderkreises der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt e.V. 1997 Stadtschreiber in Halle.

Bibliografie: (Auswahl)

Jonny unterm Regenbogen, Jugendbuch, 1974, Berlin, Verlag Neues Leben
Fischkopp, Jugendbuch, 1978, Berlin, Verlag Neues Leben
Eine Formel für den Durst, Roman, 1986, Berlin, Verlag Neues Leben
Ins Bett mit der Dezernentin, Erzählung, 1993, Halle, Sailer Verlag
Der Baum auf dem Ochsenberg, Heitere Geschichten, 1997, Halle, Heiko Richter Verlag
Briefe, Bücher & Projekte, Hallesche Autorenhefte 13, 1998, Halle, Förderkreis der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt
Ein Justizmord in Halle. Aufstieg und Fall des Hans von Schönitz (mit Christina Seidel), 2000, Halle, Heiko Richter Verlag
Vom Kohlenklau zum Witwenball, Nachkriegsgeschichten aus Halle, 2003, Gudensberg-Gleichen, Wartberg Verlag
Tatort Roter Turm, Kriminalroman, 2004, Kassel, Herkules Verlag
Sagenhafter Saalekreis (mit Christina Seidel), 2007, Halle, Mitteldeutscher Verlag

Zahlreiche Beiträge in Anthologien (1990 bis 2003)

Arbeitsgebiete:

Heitere Erzählungen

Themenangebote:

1. Lesungen für Schüler der 8. bis 10. Klassen:
Das erste Mal (abgeschlossenes Buchmanuskript)
2. Lesungen für Schüler der 5. und 6. Klassen:
Ein blaues Herz aus Porzellan (Kinderbuchmanuskript)
3. Lesungen für Erwachsene:
Heitere Geschichten aus dem Band Der Baum auf dem Ochsenberg
4. Die Puppen tanzen nicht – Ein heiterer Abend zusammen mit dem Puppenspieler Friedhart Faltin

Textprobe:

Nu haste dir verraten

Das Gespräch fand im medizinischen Versorgungsraum der Haftanstalt statt.
Meine Gutachterin stellte sich ausführlich als eine Frau Dr. Viola Fest vor. Sie war bestimmt wesentlich älter, als sie aussehen wollte, und schien Orientierungs- sowie Konzentrationsprobleme zu haben, was ich aus der Tatsache schloss, dass sie mehrmals an dem Tisch, wohin zu setzen sie aufgefordert hatte, vorbei lief und lange vor der graphischen Darstellung des menschlichen Blutkreislaufes stehen blieb und diese so intensiv studierte, als könne sie daraus die Strategie für meine Begutachtung ablesen.
Ich hatte mich für alle denkbaren Fragen nächtelang präpariert und war fest entschlossen, meine Normalität überzeugend unter Beweis zu stellen. Sie wollte aber merkwürdigerweise überhaupt nichts von mir wissen, sondern holte behutsam Bausteine, Würfel, Löffel, Gabel, Messer, ein vermutlich gekochtes Ei, eine sehr alte Tabakspfeife, Salzstreuer, Kerze und zum Schluss das Bild einer nackten Frau aus ihrer Tasche, breitete alles liebevoll vor mir auf den Tisch aus und sagte mit gedämpfter Stimme: „Wählen Sie bitte die vier Gegenstände aus, die Ihnen am besten gefallen, Herr Held!“
Mir gefiel von dem Kram nur die Frau. Ich hütete mich aber, nach ihrem Konterfei zu greifen, und nahm vielmehr nach kurzer Überlegung Pfeife, Ei, Salzstreuer und Kerze.
Frau Doktor schob wortlos das Bild dazu, weshalb ich laut und deutlich: „Die habe ich aber nicht gewollt!“, sagte.
„Nun legen Sie bitte die fünf Gegenstände nebeneinander.“
Ich griff unvorsichtigerweise zuerst zu dem Bild und erschrak. Hatte ich mich damit in ihren Augen bereits als Triebtäter entlarvt? Ich musste höllisch auf der Hut sein und durfte mir keinen weiteren Fehler erlauben. Was legt ein normaler Mensch neben das Bild einer nackten Frau? Das war nicht einfach zu entscheiden. Die Pfeife schied aus. Ebenso die Kerze. Das Ei? Auf meiner Stirn sammelten sich Schweißtropfen. Erleichtert rückte ich den Salzstreuer an das Bild und platzierte daneben das Ei, dann die Kerze und ganz rechts die Pfeife. Diese Aufstellung bezeugte zweifelsfrei meine soliden Triebe. Ich blickte Frau Doktor siegesgewiss in die Augen. Die Hausfrau streut sich beim Frühstück Salz aufs Ei, und der Mann brennt sich mit Hilfe der Kerze seine Pfeife an. Totale Familienatmosphäre. Wer so legte, konnte kein Triebtäter sein.

Beim Freigang auf dem Hof wollten Humpelbein und Petrus genau wissen, wie’s gelaufen war. Sie kannten diese Art von psychologischen Tests.
„Sowas machen de Gutachter alle“, sagte der Bärtige, „damit kriechen se raus, ob de bis viere zählen können tust. Nun wissen se’s, nu haste dir verraten. Nun biste nich plemplem und musst nach Brandenburg.“

— — — — —

Am letzten Verhandlungstag schien wieder die Sonne, und aus der Kastanie auf dem Hof des Gerichtsgebäudes sprang ein Eichhörnchen auf uns zu und hob bittend die Pfoten. Ich tat es ihm unwillkürlich gleich, was mein Anwalt Eberschwanz neben mir geflissentlich übersah.
Seine Verteidigungsstrategie war – gegen meinen Willen – bei Frau Doktor Viola Fest angekommen, von deren Gutachten er sich eine weitgehende Entlastung meiner Person versprach.
Sie erschien in einem schwarzen Kostüm und einer hochgeschlossenen weißen Bluse sowie mit wissenschaftlich-ernstem Gesichtsausdruck.
Mich lächelte sie erst nur an wie ein überarbeiteter Oberarzt seinen todkranken Patienten, dann trat sie doch auf mich zu, gab mir die Hand und sagte: „Guten Tag, Herr Feld.“
Vom Vorsitzenden Richter aufgefordert, verlas sie ihr Gutachten, wobei sie Pausen einlegte, um, wie auf Beifall wartend, in den Saal zu blicken.
Ihre Analyse sei gründlich und nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt worden, behauptete sie einleitend, zuerst habe sie den so genannten Alpha-Wilson-Test mit mir durchgeführt, um eine gesicherte Ausgangsdiagnose zu haben.
„Wie allgemein bekannt“, fuhr sie fort, „muss der Proband bei diesem Test verschiedene Gegenstände frei auswählen und nebeneinander legen. Eines der vorgelegten Objekte steht dabei im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eigenschaft des Untersuchten, die innerhalb der Analyse die Prioritätszahl 1 erhalten hat.– Im vorliegenden Fall das Bild einer unbekleideten Frau.
Wilson, Eiermann und viele andere führende Analytiker haben nun zweifelsfrei nachgewiesen, dass der seelisch lokalistisch und ellipsiell freie Mensch – man kann stark vereinfacht auch sagen: der diesbezüglich Normale – zuerst nach diesem Gegenstand greifen wird, wir nennen das den lapidaren Zugriff.
Spezifisch belastete Personen dagegen vermeiden gerade dieses Objekt, aus Angst, sich zu verraten. Eiermann spricht von fundamentaler Reizverdrängung.“
Frau Doktor blickte mich an.
Mir wurde schwindlig. Ich hätte die Nackte nehmen sollen!
Es kam noch schlimmer. „Die von meinem Probanden ausgewählten Gegenstände bewiesen dessen belastete Ellipsität im weiteren Verlauf des Tests eindrucksvoll“, redete Frau Doktor weiter. „Dies wird Ihnen, meine Damen und Herren, sofort einleuchten, wenn ich Ihnen sage, dass es sich um Pfeife, Kerze, Ei und Salzstreuer, also ausnahmslos um so genannte ‚sexual orders object’s‘ handelte.“
Eine Schöffin bat darum, eine Frage stellen zu dürfen. Pfeife, Kerze und Ei leuchteten ihr angeblich als ‚sexual orders object’s‘ ein, lispelte sie, was aber habe ein Salzstreuer mit einer Vergewaltigung zu tun?
„Das ist doch klar“, rief der Spaßmacher im Saal, „der wird benötigt, um Salz auf den Schwanz zu streuen.“

Aus der Erzählung: „Ich bin doch nicht verrückt, Frau Doktor“